Das riskante Spiel des Baulöwen Dr. Schneider

Published 2020-12-01
Jürgen Schneider sammelte Immobilien wie andere Leute Briefmarken. Von Hamburg bis München gehörten ihm zuletzt über 130 Edelobjekte in den besten Geschäftslagen. 1994 stürzte das Imperium des Baulöwen zusammen wie ein Kartenhaus. Er hinterließ einen Milliardenschuldenberg bei Banken, die dem feinen Herrn mit Toupet und Zweireiher anscheinend blind vertraut hatten.

Die größte Pleite der Nachkriegszeit erschütterte den Immobilienmarkt. Ist der dramatische Sturz des Finanzjongleurs nur der Auftakt kommender Pleiten? Diese Frage untersucht Reinhold Rühl in der Sendung "Zündstoff" im ZDF.

Hoch gepokert wird schon lange mit Wolkenkratzern und Büroetagen. Doch der Boom im Zuge der deutschen Einheit ist vorbei. Im Krisenjahr 1994 fielen die Büromieten drastisch. Besonders augenfällig ist dies in der Bankenmetropole Frankfurt. Dort steht bereits jedes zehnte Büro leer. An vielen Büroetagen hängen Schilder "Zu vermieten". Dennoch wird in der Stadt so viel gebaut wie nie zuvor. Als diese Investitionen geplant wurden, träumten die Projektentwickler noch von Quadratmetermieten von bis zu 100 Mark im Monat. Heute sind Makler am Main glücklich, wenn sie Top-Büros für 50 Mark pro Quadratmeter vermitteln können.

Trotz der riesigen "Bürohalde" werden jedoch im Schatten der Hochhaustürme auch immer noch Wohnungen in Büros umgewandelt. Der Grund: Freiberufler wie Rechtsanwälte, Steuerberater und Werbeleute suchen das "passende Ambiente". Gegen diese illegalen Praktiken kämpft das Frankfurter Wohnungsamt. Doch manche Spekulanten haben die hohen Geldbußen bereits einkalkuliert. "Das sind schon mafiöse Entwicklungen", stellt ein Mitarbeiter des Wohnungsamtes resigniert fest.

Auf "goldene Zeiten" gesetzt haben Investoren auch am Rande des neuen Flughafens bei München. Das Gewerbegebiet, über dem Jets starten und landen, ähnelt heute mit seinen glitzernden Glasfassaden einer Geisterstadt. Die meisten Bürocenter stehen leer.

Genau so treibt der Bauboom in den neuen Bundesländern seltsame Blüten. Investiert wird aufgrund steuerlicher Abschreibungsmöglichkeiten vor allem in Büros und Verkaufsflächen. Während schon jetzt in der Leipziger City viele Hinterlassenschaften von Schneider als Bauruinen dahingammeln, entstehen draußen vor der Stadt noch weitere gewaltige Gewerbeparks - unverkäuflich! Das Skeuditzer Kreuz - ein Bermuda-Dreieck der Investoren.

Im Berliner Immobilienmarkt ist ebenso längst Ernüchterung eingekehrt. "Hier werden momentan große Vermögen verloren", kommentiert ein Branchenkenner hinter vorgehaltener Hand das gigantische Projekt Friedrichstraße. Dort werden entlang der dreieinhalb Kliometer langen künftigen Magistralen fast 800.000 Quadratmeter Büroflächen fertiggestellt.

Der ZDF-"Zündstoff" ist gestaltet wie ein Roadmovie, eine filmische Reise durch die deutsche Immobilienlandschaft. Die Reiseroute bestimmte nicht zuletzt der untergetauchte Pleitier Schneider. Längs der Route, die von Hamburg über Berlin und Leipzig bis Frankfurt und München führt, fand ZDF-Autor Reinhold Rühl zahlreiche "Claims" aus der Zeit des Immobiliengoldrauschs.
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Sendetitel: Hoch gepokert – Das riskante Spiel mit Immobilien
Sendung: ZDF Zündstoff
Buch und Regie: Reinhold Rühl
Kamera: Pierre Bouchez u.a.
Schnitt Gudrun von Teichmann
Redaktion: Walter Mischo
Produktion: Heiko Solberg
Erstsendung: 12.10.1994
Zuschauer: 1,43 Millionen

All Comments (21)
  • Eine herrliche, ehrliche alte Doku aus der Zeit wo noch Qualität im Vordergrund war. Mir gefallen die alten und älteren Herren hier, ganz besonders der Schweinezyklus-Mann. Ach, war das noch schön in den 90´ern...
  • @wolfbue7912
    Ganz alte Regel im Immobilien-Finanzierungsgeschäft nicht befolgt: regelmäßig Bautenstand persönlich überprüfen ! ! Nicht nur anhand eingereichter Unterlagen ! ! Aber Banker sind so faul ! !
  • @hauruck4415
    Der Kanal hier ist Gold, das Material was ich seit Jahren suche. Danke dafür 🙏🏻
  • @djvincent2010
    Alte Dokus - sehr interessant. Habe mir schon immer gern Dokus angeschaut und dabei fällt mir auch gleich wieder der riesen Sack mit Videokassetten, vollgespielt mit Dokus, der im Keller steht, ein. Ursprünglich wollte ich die (vor über 20 Jahren) alle mal digitalisieren, aber was für eine Arbeit und was für ein Zeitaufwand... Gleich mal euren Kanal abonniert.
  • @NoName-male1968
    In Zeiten von Homeoffice könnte man die ganzen Büro Gebäude wieder in Wohnraum umwandeln.
  • Gerade Leipzig damals. Mein kleiner Schreiner Betrieb wo ich lernte ist damals pleite gegangen wegen Schneider. Für uns hat sich niemand intressiert. Gläubiger Stelle 78. Unglaublich wenn man ein halbes Jahr auf der Baustelle wahr.
  • Der Herr Krawinkel ist jedenfalls für mich sehr sympathischer Mann, der exakt weiß wovon er spricht. An ihm sollten sich so manch aufgeblasenen Dummschwätzer ein Beispiel nehmen.
  • Voll am Thema vorbei oder? Hier wird über Immobilien und die Preise gesprochen, aber die Geschichte Schneider fehlt.
  • Sehr interessanter Beitrag der zeigt wie unser System funktioniert: Scheinheilig ist das treffende Wort. Die Jagd nach Anerkennung. Beachtung, Wertschätzung aber alles ausschliesslich im Aussen. Das trifft auf (fast) alle führenden Personen zu. Sie definieren sich über Äusserlichkeiten. Die Jagd nach dem goldenen Kalb - wow!
  • 150.000 DM Busgeld für Fehlbelegung und Fremdnutzung als Hotel hat der Eigentümer aus der Portokasse bezahlt. Das war ganz sicher mit eingepreist. Bezahlen und weiter so ist das Motto.
  • Das einzige was mich gestört hat das am Ende die Handwerker leer ausgingen. Der hats den Banken gezeigt. Auch bei Banken gilt: Gier frisst Hirn. Ein Deutscher Robin Hood.
  • @HeroMan410
    Vom „Flair der 20er Jahre“ ist Berlin heute weiter entfernt als jemals zuvor. Allgemein interessant zu hören wie die Quadratmeterpreise damals exorbitant waren, heute in EUR vermutlich das 5fache
  • @Mr31Jole
    Die Doku hat jetzt wieviel mit dem Thema zu tun? Der Schneider wird paar mal erwähnt aber im Prinzip geht es mehr um den Immobilienmarkt
  • @blackbird6410
    Und die Gier des Menschen ist unermesslich... Aber die meisten vergessen, dass das letzte Hemd was du trägst keine Taschen hat!
  • @mattmcwieg1676
    Haben alle mit ihm zu tun gehabt! Haben gut Geschäfte gemacht! Vorbildlich... korrekt... jawohl
  • @Willburys
    Im Moment sind wir wieder im Abfallenden Immobilienmarkt. Es wiederholt sich und Schneiders gibt es auch heute noch.
  • @GuenterZorell
    Fakt ist, seine Bauwerke sind Schmuckstücke in bester Qualität und werten Innenstädte auf. Kein Billigpfusch wie oft üblich. Für die gierigen Bankster Peanuts, tragisch für die Handwerker. Trotzdem hat er sich ein Denkmal gesetzt.
  • @FlorianBSG
    Super spannend, wenn man den jetzigen Immobilienmarkt in Frankfurt beobachtet.
  • @fleischwolf82
    Aus heutiger Sicht haben alle Immobilien die damals geschätzten. Werte bei weitem übertroffen. Viele Entwickler und Investoren hatten nicht genug Schnauf um die Baisse durchzustehen. Der Vater einer Schulkollegin war gross dabei beim Immobilienboom im Osten. Er hat sich mit allen Mitteln irgendwie durchgemauschelt und hat vor 3 Jahren die letzten Immobilien verkauft.